Nachhaltigkeit als zentraler Trend bei den Sinus Milieus

Die Gesprächspartner der heutigen Podcast-Folge, Dr. Bertram Barth und Alexandra Mossakowski, waren bereits  in der Podcastfolge Nummer 40 zu Gast, als es um das Thema Sinus-Milieus ging und um die Frage, warum sie in der Zielgruppenansprache für den Tourismus sehr wertvoll sein können.

Das Thema ist auch deswegen wieder so aktuell, da erst vor ein paar Tagen ein Update der Sinus-Milieus präsentiert wurde. Darin wird erläutert, wie sich die Werte in der Gesellschaft gewandelt haben und wie sich dieser Wandel auf unsere Zielgruppenansprache auswirkt. Außerdem wird erklärt, welchen Einfluss die Nachhaltigkeit, die in den letzten Jahren in unserer Gesellschaft sehr präsent war, auf unsere Gästestruktur hat.

 

 

 

Kernaussagen zum Update und zur Nachhaltigkeit bei den Sinus Milieus

  • Nachhaltigkeit ist ein Thema von allgemeiner Relevanz geworden. Es gibt kein Milieu, das sich entziehen kann, jedoch gehen sie unterschiedlich damit um.
  • Das Thema Nachhaltigkeit, das früher im Postmateriellen-Milieu zentriert war, deutlich breiter geworden. Nachhaltigkeit wird mittlerweile stark als Klima- und Umweltschutz verstanden und ist in der breiten Gesellschaft angekommen.
  • Die Wende hin zu gesellschaftlicher Mitbestimmung geht Hand in Hand mit der zunehmenden Konjunktur des Themas Nachhaltigkeit.
  • Speziell bei den Progressiven Realisten spielt das Gemeinwohl eine große Rolle. Sie haben das breiteste Konzept für eine soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit. Sie legen außerdem sehr viel Wert auf Diversität.
  • Den Adaptiv-Pragmatischen ist die Nachhaltigkeit natürlich wichtig, aber sie muss vor allem praktisch sein. Und wenn ich sehe, dass ich sogar Geld spare, weil ich das Klimaticket nämlich schon besitze, dann trifft das bei mir als Adaptiv-Pragmatischer einen Nerv, der mich zum Nachdenken anregt.
Nachhaltigkeit Sinus Milieus Österreich
Übersicht „Sinus Milieus Österreich 2022“

Transkript dieser Podcast-Folge

Marco: Herzlich willkommen, Frau Mossakowski und Herr Dr. Barth. Ich freue mich sehr, Sie bei Smart Hotel Key bereits zum zweiten Mal begrüßen zu dürfen. Ich habe Sie bereits vorgestellt und auch das Thema beschrieben, über das wir heute sprechen werden. In der Folge 40 hatten wir bereits die Gelegenheit, einiges rund um die Sinus-Milieus zu erfahren und die Wichtigkeit dieser Klassifizierungen für den Tourismus herauszustellen. Beginnen wir mit einem kurzen Review. Was hat sich in letzter Zeit hinsichtlich der Milieus getan, und warum ist es überhaupt wichtig, sich über die Werte der eigenen Zielgruppen Gedanken zu machen?

Alexandra Mossakowski: Als Unternehmer verfolgt man eine Strategie in Bezug auf die Kunden und Gäste, und man macht sich Gedanken darüber, wie man sie am besten ansprechen und gewinnen kann. Die Überlegungen werden in der eigenen Marke und in den Markt eingebettet, in dem man arbeitet. Besonders populär ist die Einteilung nach Generationen, Stichwort GenX, GenY und die hoch besungene GenZ. Auch die Babyboomer dürfen wir nicht vergessen, denn sie sind eine marktrelevante Generation.

Marco: Was ist mit den Alphas, die jetzt auf uns zukommen?

Alexandra Mossakowski: Sie haben vollkommen recht, auch die Alphas sind sehr relevant. Unser Anspruch ist jedoch, Menschen nicht in Jahrgänge und Jahrzehnte einzuteilen. Es ist zwar einfach, sich in diese Gedankenwelt hineinzuversetzen, aber es spiegelt nicht die Realität wider, die in der Gesellschaft existiert. Wir erkennen eher Individualisierungstrends als eine homogene Gruppe von Altersstufen und Jahrzehnten. Die Sinus-Milieus sind ein Tool, das uns dabei unterstützt, die Wünsche und Bedürfnisse unserer Gäste zu erkennen. Sie sind ein Gesellschafts- und Zielgruppenmodell, das zusammenfasst, welche Lebenseinstellungen und Werte die Menschen verbindet.Es geht nicht um sozio-demographische Daten wie Geschlecht, Alter, Schuldbildung oder Wohnort, sondern um Denkweisen und Weltbilder. Denn tatsächlich sind es die Lebensanschauungen, die Menschen verbinden. Wir leben nicht auf Inseln, sondern in Wertegemeinschaften. Wir suchen unsere Freunde danach aus, ob sie unsere Grundwerte teilen. Frühere Zugehörigkeitsparameter wie Alter, Geschlecht oder Schulbildung, urbaner oder ländlicher Lebensraum greifen heutzutage nicht mehr. Traditionelle Beziehungen und soziale Schichten wirken weniger stark wie die Wertegemeinschaften. Diese Verbindungen werden in den Sinus-Milieus berücksichtigt und dargestellt. In Österreich unterscheiden wir zehn Milieus. Jedes einzelne beschreibt die jeweiligen Denkweisen und Arten der Lebensführung. Als touristisches Unternehmen kann ich mich an den verschiedenen Gruppierungen orientieren und herausfinden, was meinen Gästen wichtig ist, wenn sie zu mir in den Urlaub kommen. Worauf legen sie Wert, und was ist für sie ein absolutes No-Go? Wo erreicht sie meine Werbung? Mit den Sinus-Milieus wollen wir Unternehmer in die Lage versetzen, sich gut und treffsicher in ihre Gäste einzufühlen. Auf dieser Basis lässt sich eine Guest Experience gestalten, die genau so ist, wie sie die Gäste wünschen.

Marco: Die herausgearbeiteten Werte treffen auf viele Bereiche zu, und das erleichtert uns die Arbeit. Es beginnt mit der Angebotsgestaltung und bei der Frage, wo ich die Zielgruppe erreiche. Auf welche Materialien sprechen sie an, welche Angebote möchten sie im Haus haben, und was ist ihnen wichtig im Bereich der gesellschaftlichen Trends? Einige Kunden sprechen auf Nachhaltigkeit an, andere auf Digitalisierung. Ich bin ein großer Fan der Sinus-Milieus, und deshalb freue ich mich, dass wir heute noch tiefer in diesen Bereich eintauchen werden. Ein Thema, das gerade angesprochen wurde, sind die Wertecluster, nach denen sich die Milieus bilden. Wir haben gehört, dass es zehn verschiedene Sinus-Milieus mit ihren zugehörigen Weltbildern gibt. Vor einigen Tagen ist ein Update veröffentlicht worden. Haben sich die Werte in der Gesellschaft verändert? Warum war die Anpassung notwendig, und was genau hat sich gewandelt?

Dr. Barth: Wir schauen uns genau an, wie sich die gesellschaftlichen Leitwerte weiterentwickeln, denn auf dieser Basis werden die Gemeinschaften definiert. Diese Definitionen möchten wir so aktuell wie möglich halten. Das Modell der Sinus-Milieus hat den Anspruch, die gesellschaftliche Realität wiederzugeben. Die letzte Aktualisierung wurde vor zehn Jahren vorgenommen, und inzwischen hat sich einiges getan. In den ersten zehn Jahren dieses Jahrtausends gab es das Phänomen des Cocoonings. Es beschreibt das Bedürfnis, sich in die Privatheit zurückzuziehen und dadurch Sicherheit und Glück zu finden. Die Menschen sind durch die Vielzahl der Krisen überfordert. Das neue Jahrtausend hat mit großen Hoffnungen begonnen, aber wir erfahren eine Krise nach der anderen. Diese Tendenz hat zu einem Rückzug ins Private beigetragen. Heute sehen wir eine Gegenbewegung, die immer stärker zu werden scheint. Das Bedürfnis nach gesellschaftlicher Teilhabe und der Wunsch nach einer gemeinsamen Gestaltung des Zusammenlebens steigt. Das äußert sich in konkreten Forderungen. Die Leute gehen auf die Straße und wollen, dass ihre Anliegen vertreten werden. Interessanterweise sind es unterschiedliche Gruppen, die sich auf der Straße zeigen. Wenn wir uns die letzten Jahre anschauen, dann könnte man überspitzt sagen, dass am Freitag diejenigen auf die Straße gehen, die an der Zukunft orientiert sind um Samstag diejenigen, die sich an der Vergangenheit orientieren. Diese Polarität zwischen Zukunft und Vergangenheit ist so stark geworden, dass daraus zwei neue Milieus entstanden sind. Das neue Milieu der Progressiven Realisten verkörpert die Zukunft. Es besteht vornehmlich aus jüngeren Menschen, doch auch Ältere gehören dieser Gruppe an. Dort findet man Vertreter von Fridays for Future ebenso wie über Fünfzigjährige, die sich für den Umweltschutz und für ein gutes Zusammenleben in der Gesellschaft einsetzen. Das ist die Zukunft.

Auf der anderen Seite haben wir die Vergangenheit, für die das neue Milieu der Nostalgisch-Bürgerlichen steht. Das sind diejenigen, meist Mitte 40, die sich in ihren Werten und Perspektiven an einer fiktiven Vergangenheit orientieren, als die Welt vermeintlich noch in Ordnung war. Sie gehen auf die Straße, um Sicherheit und Ordnung einzufordern. Sie wollen eine Freiheit, die ihrem Gefühl entspricht. In diesem Milieu finden sich auch viele Corona-Kritiker. Der Wertewandel, der eine stärkere gesellschaftliche Teilnahme einfordert, hat diese zwei neuen Gruppierungen herausgebracht.

Marco: Man kann also sagen, dass sich die Zukunfts- und Vergangenheitsorientierungen über alle Milieus gelegt haben und dass daraus zwei neue Gruppierungen entstanden sind? Oder beeinflussen diese Richtungen alle Milieugruppen?

Dr. Barth: Das ist ein Konflikt, der sich durch alle Milieus zieht. Das Bedürfnis nach Mitbestimmung scheint jeden zu betreffen. Der Rückzug ins Private und das Desinteresse an der Politik ist von einer Gegenbewegung abgelöst worden. Es wird heute stärker darauf geschaut, was sich in der Welt tut. Das ist eine starke Tendenz. Die Gruppen, die die Konflikte auf den Punkt bringen, also Vergangenheit versus Zukunft, die finden sich in verschiedenen Schattierungen in den unterschiedlichen Milieus wieder.

Marco: Aber sie sind in den beiden Richtungen der Nostalgisch-Bürgerlichen und Progressiven Realisten stark ausgeprägt.

Dr. Barth: In diesen beiden Gruppen ist die Polarität zwischen Vergangenheit und Zukunft stark ausgeprägt. Das ist nichts, was vom Himmel gefallen ist, sondern es ist eine Entwicklung, die schon länger vor sich geht. Das hat natürlich auch mit der Stellungnahme zur Globalisierung und zur Modernisierung zu tun. Es gibt das Schlagwort der Globalisierungsgewinner und -verlierer, das auch hier zum Tragen kommt. Wir sehen sehr deutlich, dass sich unsere Gesellschaft neu konfiguriert hat. Es gibt neue Milieugruppen, die bestimmte Sehnsüchte und Wertvorstellungen stärker auf den Punkt bringen.

Marco: Wir haben über die Progressiven Realisten gesprochen, die eines der neuen Milieus verkörpert. Sie haben zur Erklärung die Unterscheidung in Freitags- und Samstagsdemo herangezogen. Fridays for Future, die Progressiven Realisten, sind am Klimaschutz und an der Zukunft unserer Erde interessiert. Das sind Themen, die ich eher bei den Postmateriellen verortet hätte. Wie unterscheiden sich diese beiden Gruppen?

Dr. Barth: Zum einen ist das Thema Nachhaltigkeit, das früher im Postmateriellen-Milieu zentriert war, deutlich breiter geworden. Nachhaltigkeit wird mittlerweile stark als Klima- und Umweltschutz verstanden und ist in der breiten Gesellschaft angekommen. Die etablierten Postmateriellen verfolgen dieses Ziel natürlich weiterhin, aber gleichzeitig gibt es eine radikale Zuspitzung bei den Werten der Werte der Postmateriellen, die jetzt durch die Progressiven Realisten repräsentiert wird. Die sind zum Teil aus den alten Postmateriellen hervorgegangen, aber auch aus anderen Gruppen wie zum Beispiel den früheren Digitalen Individualisten oder den Konsum-Hedonisten. Es haben sich bestimmte Gruppierungen in einer neuen radikalen Stellungnahme zur Veränderung unserer Gesellschaft zusammengefunden. Sie fordern Veränderungen, die auch individuelle Anforderungen an das Verhalten des Einzelnen stellt. Die Progressiven Realisten sind bereit, ihren Lebensstil anzupassen und klimafreundlicher zu werden. Das ist ein großer Unterschied zu den etablierten Postmateriellen, die zwar schon seit vielen Jahren immer wieder die Forderung nach einem verantwortungsvollen, klimafreundlichen Verhalten vor sich hertragen, selbst aber oft eine gewisse Doppelmoral leben. Sie kaufen Bio-Produkte, führen jedoch drei Fernreisen pro Jahr durch. Das passt nicht zusammen. Die neuen Progressiven Realisten bilden eine Gruppe, die in ihrem Verhalten sehr konkret ist, zum Beispiel auch, was das Reisen angeht. Sie vermeiden Langstreckenflüge und machen beispielsweise Urlaub in Österreich, weil man umweltfreundlich mit der Bahn dort hinfahren kann.

Marco: Das ist ein wichtiges Stichwort. Gerne werde ich mir die touristische Relevanz dieser beiden Milieus anschauen. Bei den Postmateriellen hat es bisher gereicht, mich als Natur- und Bio-Hotel zu positionieren, ohne darauf zu achten, wie die Gäste anreisen. Der Progressive Realist wird heute auch die Anreise in seine Auswahlüberlegungen mit einfließen lassen.

Dr. Barth: Genau. So würde ich es auch beschreiben. Einem Progressivem Realisten muss man etwas Konkretes anbieten, und da spielt die Glaubwürdigkeit eine wichtige Rolle. Green Washing wäre bei dieser Gruppe das Schlimmste, was man machen könnte, denn die ist bei diesem Thema sehr empfindlich.

Marco: Entweder ich fliege, oder ich fliege nicht, aber wenn ich schon fliege, dann kann ich mir ein CO2-Zertikat kaufen, um meinen Fußabdruck zu kompensieren. Darauf würde ein Progressiver Realist wahrscheinlich weniger ansprechen.

Dr. Barth: Das kommt nicht gut an, denn diese Zertifikate sind eher fragwürdig.

Marco: Weil nicht nachvollziehbar ist, was tatsächlich mit dem Geld geschieht, mit dem man das Zertifikat gekauft hat. Sie haben die Haltung zur Nachhaltigkeit in den verschiedenen Milieus angesprochen, die auch die Gesellschaft als Ganzes beeinflusst. Das war bereits vor Corona der Fall, aber wahrscheinlich war die Pandemie ein Beschleuniger für das Umweltbewusstsein. Nachhaltigkeit war plötzlich omnipräsent. Welchen Einfluss hat die Nachhaltigkeit generell auf die Gruppierungen, nicht nur auf Postmaterielle und Progressive Realisten?

Dr. Barth: Nachhaltigkeit ist ein Thema von allgemeiner Relevanz geworden. Es gibt kein Milieu, das sich entziehen kann, jedoch gehen sie unterschiedlich damit um. Es gibt durchaus Gruppen, die sich aggressiv von der Nachhaltigkeit abgrenzen, speziell das Hedonistische Milieu. Sie stellen sich gegen Spießer und Moralapostel.  Für das Verständnis des Modells ist es wichtig zu erkennen, dass die Nachhaltigkeit mit dem Gedanken der gesellschaftlichen Mitbestimmung verbunden ist. Wenn man sich für Umweltschutz interessiert, dann kann man das nicht im stillen Kämmerlein machen. Nachhaltigkeit ist ein Thema, das alle betrifft. Die Wende hin zu gesellschaftlicher Mitbestimmung geht Hand in Hand mit der zunehmenden Konjunktur des Themas Nachhaltigkeit.

Alexandra Mossakowski: Diese Konjunktur der Nachhaltigkeit geht auch am Tourismus nicht vorbei. Das ist ein großes Thema, dass relevanter wird, wenn es um die Zielgruppenansprache geht. Hierbei ist sehr wichtig zu erkennen, dass die Milieus das Thema Nachhaltigkeit unterschiedlich begreifen. Die Guest Experience muss dementsprechend gestaltet werden, und sie muss wahrnehmbar und rezipierbar sein. Schauen wir uns die Progressiven Realisten an, über die wir bereits gesprochen haben. Bei diesen Menschen kann man Nachhaltigkeit verspielter einsetzen. Das geht vom Bio-Essen bis hin zur Ausstattung der Zimmer mit Upcycling-Möbeln, die den Gästen vermitteln, dass im Hotel auf den Ökokreislauf geachtet wird.

Marco: Die Ausstattung wird hip.

Alexandra Mossakowski: Genau, das Zimmer wird hip, und das passt zur Trendaffinität der Gruppierung. Hier greift das Schlagwort „mit Party und Protest“. Man lebt die Nachhaltigkeit und lässt sich auf eine gute Stimmung eines Hotelzimmers mit bunten Möbeln ein.

Ich möchte ein weiteres Milieu ansprechen, das wir noch nicht genannt haben, nämlich die Adaptiv-Pragmatische Mitte. Das ist touristisch gesehen ein wichtiges Milieu, das den Progressiven Realisten ähnelt. Sie erkennen den Umweltschutz als wichtiges Thema, haben aber keine Ideen, wie entsprechende Lösungen aussehen könnten. Aus diesem Grund muss man etwas anbieten, was ihnen einen Benefit, einen Nutzen bringt. Als Beispiel möchte ich eine regionale und saisonale Küche nennen, die zu erschwinglichen Preisen erhältlich und nicht zu experimentell ist. Der Nutzen besteht in einer guten und preiswerten Küche, und gleichzeitig wird das Gewissen beruhigt, weil die Lebensmittel nachhaltig sind.     #00:22:12-0#

Ein drittes Beispiel betrifft die Gruppe der Performer, die eher die technologische Seite der Nachhaltigkeit betrachten. Für sie könnte man Smart Home-Elemente im Hotelzimmer einbauen, zum Beispiel einen Bewegungsmelder im Badezimmer, der das Licht ausschaltet, wenn man den Raum verlässt. Das spart Energie, ist nachhaltig und sorgt für ein gutes Gewissen.     #00:22:49-8#

Marco: Der technische Fortschritt unterstützt das nachhaltige Handeln.    #00:22:58-6#

Alexandra Mossakowski: Genau. Das waren drei Beispiele, wie unterschiedlich Nachhaltigkeit bespielt werden müsste, weil der Blickwinkel jedes Mal ein anderer ist.    #00:23:13-5#

Marco: Nachhaltigkeit beeinflusst natürlich alle Milieus, aber wir sprechen immer über die grüne Ökologie. Wie schaut es mit der sozialen Nachhaltigkeit aus? Spielt auch sie eine Rolle bei den Gruppierungen?    #00:23:33-9#

Dr. Barth: Ja, auf jeden Fall. Speziell bei den Progressiven Realisten spielt das Gemeinwohl eine große Rolle. Sie haben das breiteste Konzept für eine soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit. Sie legen außerdem sehr viel Wert auf Diversität. In Deutschland haben wir ein ähnliches Milieu gefunden, das wir die „Neo-Ökologischen“ nennen. In Österreich entspricht das den Progressiven Realisten. Interessanterweise spielt die Diversität bei dieser Gruppe in Österreich noch eine größere Rolle als in Deutschland. Diversität ist übrigens auch ein Thema des Lifestyle-Milieus der Kosmopolitischen Individualisten, die mit ökologischer Nachhaltigkeit nichts am Hut haben. Auch diese Gruppe erreicht man mit sozialer Nachhaltigkeit.    #00:24:44-8#

Marco: Sehr spannend. Man merkt, wie tief man sich mit Trends und Milieus beschäftigen muss, um ein Verständnis für seine Zielgruppe zu bekommen. Gab es in den vergangenen Jahren neben der Nachhaltigkeit noch weitere Trends, die die Entwicklungen der Milieus beeinflusst haben?    #00:25:09-8#

Dr. Barth: Nachhaltigkeit ist der große gesellschaftliche Trend, der sich in viele Teilbereiche herunterbrechen lässt. Wir haben bereits über die Gruppe der Nostalgisch-Bürgerlichen gesprochen, die eine wichtige gesellschaftliche Entwicklung vorantreiben, nämlich eine Neukonfigurierung unserer Mitte. Alexandra Mossakowski hat darauf hingewiesen, dass das Adaptiv-Pragmatische Milieu inzwischen die neue Mitte ausmacht. Die alte bürgerliche Mitte, die jahrzehntelang die Werte unserer Gesellschaft verkörpert hat, existiert nicht mehr. Das ist eine große Veränderung. Sie hat sich von den politischen und wirtschaftlichen Eliten vernachlässigt gefühlt und ist ins Nostalgisch-Bürgerliche abgedriftet. An ihre Stelle tritt die neue Mitte der Adaptiv-Pragmatischen, die flexibel, unideologisch und nutzenorientiert ist. Das ist eine sehr massive Veränderung unserer Gesellschaft. Diese Entwicklung ist nicht von heute auf morgen entstanden, sondern sie hat sich über viele Jahre hinweg entwickelt. Jetzt sind wir so weit, dass wir eine moderne, aufgeschlossene und nutzenorientierte Mitte sehen. Viele Unternehmen haben das noch nicht verstanden. Wenn man sich Werbebotschaften anschaut, hat man das Gefühl, dass sie sich an die alte Mitte richten, die es nicht mehr gibt. Die moderne, lockere und bunte Ästhetik der neuen Pragmatischen Mitte ist ganz wesentlich, um Inhalte zu transportieren. Alex Mossakowski hat bereits darauf hingewiesen, dass wir den Adaptiv-Pragmatischen einen konkreten Nutzen bieten müssen, um sie zu erreichen. Diese Vorgehensweise kann man planen. Nachhaltigkeit, die einen Vorteil bringt, kommt bei diesem Milieu sehr gut an. Im alten Bürgerlichen Milieu hätten wir damit nichts erreichen können.    #00:28:12-7#

Alexandra Mossakowski: Ein weiteres Beispiel, das wir bereits angesprochen haben, ist das Thema Anreise. Die Adaptiv-Pragmatischen sind eine Gruppe, die eher mit dem Auto anreist. Hier geht es um Bequemlichkeit und um pragmatisches Denken. Mein Vorschlag wäre, ihnen folgendes Angebot zu machen, „nutzt doch das Pendler-Klimaticket, und für die letzten Meter zum Hotel holen wir euch gerne am Bahnhof ab.“ Damit bietet man dem Gast Komfort und schenkt ihm gleichzeitig das gute Gewissen, dass er bereits mit der Anreise nachhaltig agiert hat.    #00:29:07-5#

Marco: Das ist ein ganz wichtiges Thema. Den Adaptiv-Pragmatischen ist die Nachhaltigkeit natürlich wichtig, aber sie muss vor allem praktisch sein. Und wenn ich sehe, dass ich sogar Geld spare, weil ich das Klimaticket nämlich schon besitze, dann trifft das bei mir als Adaptiv-Pragmatischer einen Nerv, der mich zum Nachdenken anregt.    #00:29:30-5#

Dr. Barth: Es ist ganz wichtig, diesen Unterschied zu erkennen. Der Adaptiv-Pragmatische interessiert sich nicht für Versprechungen oder Forderungen, etwas für die Gesellschaft zu tun. Das muss man herunterbrechen auf die Bedürfnisse dieser Personen. Umweltverantwortung ist etwas, was auch Bequemlichkeit und ein gutes Gewissen mit sich bringen muss. Die großen Begriffe werden praktisch anwendbar.     #00:30:00-1#

Marco: Wir haben über die neuen Entwicklungen der Milieus gesprochen. Natürlich haben sich auch in der Vergangenheit viele Unternehmer mit ihren Zielgruppen beschäftigt. Wir haben gerade gehört, dass sich die bürgerliche Mitte aufgelöst hat und durch zwei andere Milieus ersetzt wurde, die Nostalgisch-Bürgerlichen und die Progressiven Realisten, die aus den Postmateriellen hervorgegangen sind. Wenn ich mich als Hotelier bereits sehr intensiv mit meinen Zielgruppen und mit den Sinus-Milieus beschäftigt habe, kann ich dann, provokant gefragt, meine ganzen Überlegungen über Bord werfen und muss die Prozesse neu beginnen? Welchen Einfluss hat die überarbeitete Milieu-Einteilung auf meine bisherigen Zielgruppen? #00:30:59-4#

Alexandra Mossakowski: Die gute Nachricht lautet: Man muss nicht alles komplett neu überdenken, und man muss mit Sicherheit nicht bei null starten. Das ist der Vorteil, wenn man mit Milieus arbeitet. Wir schauen uns den Wertewandel an und analysieren, welchen Einfluss die aktuellen Trends auf die einzelnen Gruppierungen haben. Das ist eine Kontinuität, die uns die Sinus-Milieus ermöglichen. Im neuen Modell sind die Milieuprofile und deren ureigene Themen geschärft worden, das heißt, wir erkennen heute klarer, wie wir unsere Zielgruppe erreichen und wie wir sie am besten ansprechen. Wir erkennen die Bedürfnisse und können zum Beispiel den Wunsch nach einer werthaltigen Ressourcennutzung besser umsetzen.     #00:32:04-9#

Touristiker und Hoteliers sind eingeladen darüber nachzudenken, ob sie das neue Milieu der Progressiven Realisten als Zielgruppe anbinden wollen. Das würde sich in dem Fall anbieten, wenn benachbarte Milieus bereits zur Gästegruppe gehören. Auch andere Gruppen, die weiter davon entfernt sind, könnten passend sein. Es schadet nie, über neue Zielgruppen nachzudenken, und gerne reflektieren wir diesen Aspekt mit interessierten Kunden und prüfen potenzielle Zielgruppenansprachen. Es ist nicht nötig, die Gruppeneinteilung neu zu lernen. Es gibt heute präzisere Merkmale, weil Profile und Themen durch das neue Milieu-Modell geschärft wurden.    #00:33:04-7#

Marco: Die gute Nachricht lautet, dass ich meine bisherige Arbeit nicht über den Haufen werfen muss. Es lohnt sich jedoch, einen Schritt weiter zu gehen und neue Zielgruppen zu definieren.    #00:33:21-0#

Alexandra Mossakowski: Genau.    #00:33:21-6#

Marco: Gibt es weitere wichtige Tipps, Tricks oder Fazit zum Abschluss, die Sie den Hoteliers, die heute zuhören, mitgeben wollen? Warum ist es relevant und wichtig, sich mit der Sinus-Milieus-Einteilungen zu beschäftigen?    #00:33:49-8#

Alexandra Mossakowski: Ich möchte gerne wiederholen, was ich bereits am Anfang gesagt habe. Es geht darum, sich in die Gäste einfühlen zu können, und dafür sind die Sinus-Milieus ein wirkungsvolles Tool. Es ist präziser als sämtliche Generationeneinteilungen nach GenZ, Y, X und Babyboomern. Wir haben gesehen, dass es auch innerhalb derselben Altersklassen völlig unterschiedliche Lebensweisen, Anschauungen und Bedürfnisse gibt. Es lohnt sich, über den eigenen Tellerrand hinaus zu schauen, um die Ansprüche der Gäste zu verstehen. Damit beginnt der Prozess, die Guest Experience besser zu gestalten.    #00:34:39-3#

Marco: Und darum geht es im Tourismus. Wir wollen unsere Gäste glücklich machen mit Erlebnissen, die ihnen entsprechen. Vielen Dank, Alexandra Mossakowski, vielen Dank, Dr. Bertram Barth. Ich freue mich auf einen weiteren Austausch.    #00:35:00-3#

Weiterführende Informationen

Integral versteht Marktforschung als einen ganzheitlichen Prozess, der bei der Erhebung der Daten beginnt, welche erst durch ihre Übersetzung in Information Mehrwert bieten. Integral steht für ein motiviertes Team mit langjähriger und umfassender Marktforschungserfahrung.

Im August 2009 übernahm INTEGRAL die Anteilsmehrheit des Heidelberger SINUS-Instituts. Sinus-Milieus® sind Zielgruppen, die es wirklich gibt – ein Modell, das Menschen nach ihrer Grundhaltung und Lebensweise gruppiert. Die Sinus-Milieus® betrachten die realen Lebenswelten der Menschen

 

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