Was bedeutet die Sammelklage für die Hotellerie?
Booking.com – für viele Hoteliers in Europa ein unverzichtbarer Vertriebspartner, aber auch eine Plattform, die seit Jahren für hitzige Diskussionen sorgt. In der österreichischen Stadt-, aber auch in der Ferienhotellerie, besonders in familiengeführten Betrieben, ist die Abhängigkeit von Online-Reisebüros wie Booking.com hoch. Gleichzeitig nehmen die Beschwerden über intransparente Praktiken, hohe Provisionen und eingeschränkte Vertragsfreiheit zu.
Der jüngste Wendepunkt: Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19. September 2024 hat die jahrelang umstrittenen „Bestpreisklauseln“ für kartellrechtswidrig erklärt. Daraufhin formierte sich eine der größten Klageinitiativen gegen die Buchungsplattform. Über 10.000 Hotels aus ganz Europa fordern Schadenersatz. In diesem Beitrag analysieren wir die Hintergründe, erklären, was Booking.com konkret vorgeworfen wird – und stellen die Frage: Was ist die Erwartungshaltung an der Teilnahme der Klage? Oder ist es eh egal?
Booking.com – Vom digitalen Helfer zum Machtfaktor
Seit seiner Gründung hat sich Booking.com vom einfachen Buchungsportal zur marktbeherrschenden Plattform entwickelt. Viele Hotels verdanken Booking.com hohe Auslastungen, internationale Sichtbarkeit und den einfachen Zugang zu neuen Gästegruppen. Doch mit dem wachsenden Erfolg stiegen auch die Kritikpunkte – allen voran:
Die Bestpreisklausel: Booking.com verpflichtete Hotels über viele Jahre hinweg, auf der Plattform stets den günstigsten Preis anzubieten, teilweise boten Betriebe sogar günstiger als auf der eigenen Website an. Das Ziel: Trittbrettbuchungen zu vermeiden, bei denen Gäste zuerst auf Booking.com recherchieren, dann aber direkt beim Hotel buchen, um Provisionskosten zu umgehen. Für viele Hotels bedeutete diese Klausel jedoch eine Einschränkung ihrer unternehmerischen Freiheit und eine Benachteiligung im eigenen Vertrieb.
Sponsored Discounts & Preferred-Partnerschaften: Weitere Kritik richtete sich gegen das intransparente Sichtbarkeitssystem: Wer in der Suche weiter oben erscheinen will, muss oft an teuren „Preferred“-Programmen teilnehmen oder zusätzliche Rabatte geben – teils sogar subventioniert durch eigene Provisionszahlungen. Die Folge: Immer höhere Margen für Booking.com, aber sinkende Rentabilität für Hotels.
Abhängigkeit & Direktbuchungskrise: Zwischen 2013 und 2023 ist der Anteil an Direktbuchungen in Deutschland laut Studien um mehr als 8 % gesunken – ein Trend, der sich auch in Österreich bemerkbar macht. Viele Betriebe fühlen sich zunehmend abhängig von der Plattform, ohne echte Alternativen zu haben.
Die Klage – Was genau ist passiert?
Der Wendepunkt kam im Herbst 2024. Am 19. September entschied der Europäische Gerichtshof: Bestpreisklauseln sind kartellrechtswidrig. Booking.com darf Hotels nicht mehr zwingen, auf ihrer Plattform den günstigsten Preis anzubieten. Das Urteil stellt klar:
-
Die Klauseln beschränken den Wettbewerb.
-
Hotels müssen das Recht haben, ihre Preise frei zu gestalten.
-
Booking.com sei wirtschaftlich überlebensfähig – auch ohne diese Praxis.
Basierend auf diesem Urteil formierte sich eine Sammelklage, koordiniert von der Hotel Claims Alliance und unterstützt von der HOTREC (dem europäischen Hotelverband) sowie mehr als 30 nationalen Verbänden, darunter auch die WKO in Österreich.
Was wird Booking.com vorgeworfen?
Die Klage richtet sich gegen eine Reihe von Praktiken, die als wettbewerbswidrig und schädlich für die Hotellerie gelten:
-
Unzulässige Bestpreisklauseln
-
Überhöhte Provisionen (teilweise über 20 %)
-
Einseitige Vertragsbedingungen
-
Intransparente Sichtbarkeitsmechanismen
-
Wettbewerbsverzerrende Rabattaktionen ohne Zustimmung
Ziel der Klage ist es, Schadenersatz für bis zu 30 % der gezahlten Provisionen über einen Zeitraum von 20 Jahren (2004–2024) zurückzufordern – plus Zinsen.
Klage oder Kooperation – Was macht mehr Sinn?
Die Entscheidung, ob man sich der Sammelklage anschließt oder nicht, ist strategisch – und sie ist nicht für jedes Hotel gleich zu beantworten.
Vorteile eines Klagebeitritts
-
Finanzielle Entschädigung: Die geforderte Rückzahlung umfasst bis zu 30 % der gezahlten Provisionen. Bei mehreren Tausend Euro jährlicher Provision über viele Jahre hinweg kann das schnell zu einer beachtlichen Summe werden.
-
Rechtsklarheit dank EuGH-Urteil: Das Urteil vom September 2024 bestätigt klar die Kartellrechtswidrigkeit – ein massiver Vorteil für die Klägerseite.
-
Kein Kostenrisiko: Die Sammelklage wird vollständig durch einen Prozessfinanzierer getragen. Es entstehen keine Anwalts- oder Gerichtskosten für die teilnehmenden Hotels. Auch ein Rückzug ist jederzeit möglich.
-
Signalwirkung: Ein gemeinsames Auftreten gegenüber marktbeherrschenden Plattformen sendet ein deutliches politisches und wirtschaftliches Signal. Die Hotellerie zeigt Rückgrat und fordert faire Bedingungen.
-
Einfacher Ablauf: Die Anmeldung über www.mybookingclaim.com ist unkompliziert und dauert nur wenige Minuten. Unterstützung gibt es über ein Onboarding-Team.
Mögliche Bedenken gegen die Klage
-
Reputationsrisiko gegenüber Booking.com: Obwohl Booking.com offiziell keine Nachteile für klagende Hotels verhängen darf, besteht die Sorge, dass sich Rankings oder Sichtbarkeit verschlechtern könnten – etwa durch Änderungen an Algorithmen.
-
Keine direkten Zukunftseffekte: Die Klage zielt auf Rückerstattungen aus der Vergangenheit. Vertragsbedingungen in der Zukunft könnten sich zwar politisch verändern – ein konkreter, rechtlicher Einfluss ist jedoch nicht garantiert.
-
Strategische Partnerschaften gefährdet?
Für Hotels, die stark auf Booking.com angewiesen sind oder besonders gut sichtbare Profile haben, kann eine Eskalation der Beziehung Risiken bergen.
Fazit: Zwischen Gerechtigkeit und Geschäftsbeziehung
Die Sammelklage gegen Booking.com ist eine der bedeutendsten kartellrechtlichen Auseinandersetzungen im europäischen Tourismusmarkt. Für viele Hoteliers ist sie eine Gelegenheit, finanzielle Gerechtigkeit einzufordern und die Abhängigkeit von OTA-Plattformen zu hinterfragen.
Gleichzeitig muss jedes Hotel individuell abwägen: Wie hoch ist meine wirtschaftliche Abhängigkeit von Booking.com? Welche Signale möchte ich an die Branche senden?
Eines ist klar: Die Entscheidung sollte nicht aus Angst, sondern aus Strategie getroffen werden. Gerade in der österreichischen Ferienhotellerie – mit ihrer hohen Innovationskraft und Familienstruktur – ist es an der Zeit, die eigene Vertriebsstrategie aktiv mitzugestalten. Die Frist zur Teilnahme an der Klage endet am 29. August 2025 – genug Zeit, aber kein Grund zum Zögern.
- SHK 082: Die Crux mit der Ratenparität
- SHK 193: Ratenparität verstehen und umsetzen